«Experimentierfeld Schweiz»
von Redaktion
Die beiden extremen Agrarinitiativen lassen auch im Ausland aufhorchen. So hat Samuel Guggisberg dem bekannten deutschen Agrarblogger Dr. Willi Kremer-Schillings auf «bauerwilli.com» ein ausführliches Interview gegeben.

Bei Annahme der beiden Initiativen (oder auch nur einer davon) werden die regionale Produktion zurückgehen und die Preise der Nahrungsmittel steigen. Dass die Initiativen aber andere weitreichende Folgen haben könnten, davon wird weniger berichtet. Auf dem Blog «bauerwilli.com» geht das Interview mit Samuel Guggisberg in die Tiefe. Und da sieht es ziemlich unheimlich aus. Denn welchen Rattenschwanz von möglichen Folgen die zwei extremen Agrarinitiativen mit sich bringen, das haben die Initiantinnen und Initianten wohl selber nicht bedacht.
Verringerte Lebensmittelsicherheit und höhere Umweltbelastung
Ein wichtiger Punkt, der noch zu wenig thematisiert wird: Das Pestizidverbot beinhaltet auch die Biozide. Ohne Reinigungs- und Desinfektionsmittel ist aber nicht mehr an eine genügende Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit zu denken. Das fängt bei der Stallhygiene und der Reinigung von Anlagen an und hört mit der Hygiene in der zweiten Verarbeitungsstufe auf. Hier sind potenziell rund 160‘000 Arbeitsplätze betroffen. Besonders stossend ist zudem, dass die Initiativen der Umwelt und der Biodiversität einen Bärendienst erweisen und sogar kontraproduktiv wirken. Dies hängt einerseits mit den steigenden Nahrungsmittelimporten zusammen. Zudem ist der ökologische Fussabdruck einer biologischen Produktion gemessen am Output grösser als bei einer integrierten Produktion.
Verdoppelung des Agrarbudgets oder massiv höhere Marktpreise?
Weil alle Pestizide, also auch die biologischen Pflanzenschutzmittel, betroffen sind, kann bei Annahme der Trinkwasserinitiative nur noch Direktzahlungen erhalten, wer nach den strengen Bio-Demeter Richtlinien produziert. Durch die geringeren Erträge entstehen für die Betriebe grosse Einkommenseinbussen. Diese könnten über Direktzahlungen kompensiert werden, was aber nahezu eine Verdoppelung des Agrarbudgets zur Folge hätte. Oder sie müssten von massiv höheren Preisen abgefangen werden. Beides scheint aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Wie die Lösung dieses Dilemmas aussehen soll, müssten wohl die Initiantinnen und Initianten beantworten.
Mehr Einkaufstourismus, leidende Tourismusbranche
Dass bei der Verbotsinitiative der Einkaufstourismus explizit vom Verbot ausgenommen wird, ist an sich schon eine schallende Ohrfeige für die Schweizer Bäuerinnen und Bauern. Dass der Einkaufstourismus aber auch bei Annahme der Trinkwasserinitiative massiv steigen wird, ist wohl vielen zu wenig bewusst. Doch die höheren Preise für die Schweizer Produkte werden weniger gut Verdienende in Scharen über die Grenze treiben. Aufgrund der höheren Preise kommt aber noch ein ganz anderer Brocken auf die Schweiz zu: Die heimische Gastro- und Tourismusbranche wird einmal mehr zu den Leidtragenden gehören.
Gefährliche Signalwirkung für Europa
Samuel Guggisberg betont auch, dass es der deutschen Landwirtschaft nicht egal sein könne, was in der Schweiz passiert. Die Initiativen könnten nämlich eine gefährliche Signalwirkung für Europa haben und auch die Produktionsbedingungen in Deutschland weiter erschweren. Aus dieser Sicht mutet es seltsam an, dass sich Wasserwerke deutscher Gemeinden, die in der Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Bodensee Rhein zusammengeschlossen sind, für den Abstimmungskampf in der Schweiz von der Trinkwasser-Initiative instrumentalisieren lassen.
Entlassungen, Leistungsabbau – oder sogar Intensivierung
Die konkreten Folgen der Initiativen für die Struktur der Schweizer Landwirtschaft sind sehr schwierig abzuschätzen. Sicher ist, dass kaum ein Stein auf dem anderen bleiben wird. Am Beispiel von Samuel Guggisberg heisst das konkret, dass er bei Annahme der Pestizidverbotsinitiative Mitarbeitende entlassen, Rapsanbau und die Hähnchenmast aufgeben sowie den Kartoffelanbau drastisch zurückfahren müsste. «Sollte nur die TWI angenommen werden, ist ein Ausstieg aus den Direktzahlungen das realistischste Szenario, weil die Eiweisskomponenten nicht in ausreichender Menge selber produziert werden könnten und Kartoffelanbau ohne Pflanzenschutz nicht funktioniert. Eine Intensivierung soll helfen die fehlenden Direktzahlungen zu kompensieren.» Somit könnte also die Annahme der Trinkwasserinitiative durchaus zu einer Intensivierung der Landwirtschaft führen. Das kann ja wohl nicht im Sinne des Erfinders sein.
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«bauerwilli.com»: Experimentierfeld Schweiz – Blaupause für Europa?